Konzertkritik 2014 Dvorak Stabat Mater
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- Zuletzt aktualisiert: Sonntag, 18. Mai 2014 08:02
- Geschrieben von Justus Well
Süddeutsche Zeitung, 22.4.2014
Romantische Innigkeit
Bach-Chor und -Orchester beeindrucken mit Dvořáks „Stabat mater“
Ein „Stabat mater“ ist genau genommen die Passion Jesu Christi aus anderer Perspektive: Im Mittelpunkt steht hier die Gottesmutter Maria, die den Kreuzestod ihres Sohnes beweint. Dieser Blickwinkel nimmt auch den Gläubigen, der die Passion Christi betrachtet, mit auf den Weg hin zu Ostern. Viele Komponisten haben seit dem Mittelalter und bis in unsere Zeit die Sequenz des Stabat mater zur Grundlage ihrer Werke gemacht. Für Antonín Dvorák mischten sich in das Geschehen um die Passion Christi zusätzlich persönliche Schicksalsschläge, da innerhalb kurzer Zeit drei seiner Kinder verstarben. Die Innigkeit des Ausdrucks in seiner hochromantischen Stabat-mater-Vertonung, die 1880 in Prag uraufgeführt wurde, dürfte damit also in besonderer Weise auch eigenem Empfinden entsprungen sein.
Der Bach-Chor und das Bach-Orchester Fürstenfeldbruck durchbrachen unter der Leitung von Gerd Guglhör in ihrem traditionellen Konzert am Abend des Karfreitags im Stadtsaal den Wechsel der beiden Bach-Passionen nach Johannes und Matthäus und setzten nach 2010 wieder Dvoráks Stabat mater opus 58 auf das Programm. Als Solisten waren Susanne Bernhard (Sopran), Okka von der Damerau (Alt), Cornel Frey (Tenor) und Marcus Niedermeyr (Bass) zu hören. Fasst man die Aufführung zusammen, so versetzten die Musiker ihr Publikum über eineinhalb Stunden in ein fast durchgehendes, überaus süffiges Klangbad, in dem diese jedoch nicht ertrank. Bei aller Differenzierung in dynamischer Hinsicht, die vom zarten Pianissimo bis hin zum Fortissimo, das die Saalgrenzen fast sprengte, reichte, riss der lyrische Grundton zu keiner Zeit ab. Das war insbesondere der ideal austarierten Balance der Klanggruppen unter Führung der Oberstimmen zuzuschreiben, was angesichts von etwa einhundert Sängerinnen und Sängern im Chor und dem opulent besetzten Orchester kein leichtes Unterfangen ist.
Aus der Keimzelle eines einzelnen Tons entwickelte sich in der Orchestereinleitung des Eingangssatzes „Stabat mater“ durch Hinzunahme weiterer Instrumente eine organische Steigerung hin zum bebenden Fortissimo. Durch die Zurücknahme von Lautstärke ergab sich dann ein zarter klanglicher Raum für den deklamierenden Einsatz des Chortenors, dem die anderen Stimmen ganz präzise und zurückhaltend folgten. Die Partien der Solisten erwiesen sich als eine Art Überhöhung des Klangs: Alle vier Sänger zeichnete stimmliche Kraft aus, doch hatte diese ihre Ursache in versierter Technik, nicht in forciertem Druck. Der Gesamteindruck wirkte rund und geschlossen, aber nicht massiv.
Aus dem weitgehend in Moll gehaltenen Werk stach der Es-Dur-Satz „Tui nati vulnerati“ mit seinem schwingenden Takt heraus, der wie ein helles Licht im Dunklen wirkte. Weich tastete sich der Chor hier in der teilweise polyphonen Melodielinie voran und erreichte seinen Höhepunkt in einem in akzentuierter Tongebung vorgetragenen Fugato im klangvollen Forte. Hier zeigte sich die klangliche Differenzierungskraft im Chor, aber gleichzeitig auch im Orchester, das als basaler Klangträger nicht nur das Fundament legte, sondern auch für die Klangcharakteristik essenziell verantwortlich war.
Die solistischen Stücke brachten wunderbare Dialoge: Marcus Niedermeyr erfüllte den geistlich anmutenden Satz „Fac, ut ardeat“ mit seiner vollen, aber sehr gelenkigen Bassstimme in Korrespondenz mit der Klarinette. Ganz lyrisch gestalteten Susanne Bernhard und Cornel Frey die Melodielinie im Duo „Fac, ut portem Christi mortem“ und wurden dabei von den tiefen Pizzicato-Streichern und den einfühlsamen Holzbläsern wie auf Watte gebettet. Okka von der Damerau setzte die scheinbare Unendlichkeit der Legato-Linie in ihrem Solo „Inflammatus et accensus“ dem schreitenden Bassgang gegenüber.
Das Schlussstück „Quando corpus morietur“ nahm nicht nur thematisch Bezug auf den Anfang, sondern führte auch zu einem monumentalen Abschluss des Werks, das in seiner Entschiedenheit deutlich machte, dass die Trauer nicht das letzte Wort hat. Dankbarer und lang anhaltender Beifall belohnte alle Mitwirkenden für einen musikalisch höchst beeindruckenden Abend. Klaus Mohr